Biederitzer Kantorei
01

Colin Mawby

Reformationskantaten

2017 | 1 CD | Ersteinspielung | Querstand, das Klassiklabel der Verlagsgruppe Kamprad


Die Musik

1. Kantate: Da Pacem, Domine
2. Kantate: Homage to Lucas Cranach


Einführung (gekürzt)

Von Franziska Seils
Eine fast zehnjährige Freundschaft und Zusammenarbeit verbindet den englischen Komponisten Colin Mawby (1936) mit der Biederitzer Kantorei und ihrem Leiter KMD Michael Scholl. Zahlreiche Chorprojekte und Auftragskompositionen sind inzwischen als Frucht dieser Zusammenarbeit zu verzeichnen, so auch die beiden für diese CD eingespielten Kompositionen für Soli, Chor und Orchester Da pacem, Domine und Homage to Lucas Cranach. Im Falle des zuerst genannten Werkes berichtet Michael Scholl, dass die Sängerinnen und Sänger der Biederitzer Kantorei dem Komponisten gegenüber den Wunsch geäußert hatten nach einem oratorischen Werk, in dem Luthers Lied Verleih uns Frieden gnädiglich gemeinsam mit dem Lobgesang der Maria aus dem Lukasevangelium erklingt. Wenn die Bitte um Frieden mit den hochpolitischen Aussagen des Magnificat konfrontiert wird (Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhöht die Niedrigen.), dann verstehen wir, dass Frieden mehr ist als Waffenstillstand und Friedhofsruhe, dass er einhergehen muss mit Gerechtigkeit und Respekt vor allem Lebenden, kurz, dass er in dieser ganz reinen Form nur von Gott kommen kann, so wie es bei Luther heißt: Es ist doch ja kein andrer hier, der für uns könnte streiten. Colin Mawby hat sich auf dieses kompositorische Projekt eingelassen, blieb indes bei den beiden vorgeschlagenen Texten nicht stehen. Genau genommen verarbeitet das Werk fünf aufeinander bezogene Texte in drei Sprachen, die auf Traditionen der anglikanischen, protestantischen und katholischen Kirche verweisen und somit dem Werk einen überkonfessionellen, ja ökumenischen Charakter verleihen.

Besetzung

Grit Wagner - Sopran
Manja Raschka - Alt
Christopher Lichtenstein - Orgel
Chor der Biederitzer Kantorei
Musiksommerfestspielorchester
KMD Michael Scholl - Leitung

Aufnahme

Liveaufnahme | Reformationskirche Magdeburg-Rothensee | 27. und 28.08.2016 | Tonmeister: Thomas Ratzak

Produktion

www.vkjk.de | Verlagsgruppe Kamprad

Coverbild

Sturmstillung | Öl auf Holz, Andreas Herbst, 2006


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Rezension in magazin.klassik.com | von Dr. Uta Swora | 20.07.2017

Reformationskantaten - 'Da pacem Domine' & 'Homage to Lucas Cranach'

Reformation im neuen Gewand

Auch nach 500 Jahren hat das Thema Reformation noch keinen Staub angesetzt. Den Beweis liefert die vorliegende Einspielung, die auf klanglich höchst differenzierte Weise zwei ungewöhnliche und schillernde Kantaten von Colin Mawby zu Gehör bringt.

Mit dem Stichwort ‚Reformation’ sind automatisch die unterschiedlichsten Assoziationen verbunden. Die meisten denken zunächst an die zentrale Figur Martin Luther, seine 95 Thesen und seine revolutionären Gedanken bezüglich einer Neuordnung des christlichen Gottesdienstes. Auch die musikalische Seite ist von Anfang an ebenso untrennbar mit der Reformation verbunden wie sämtliche religiösen, historischen und liturgischen Aspekte. So führt die Assoziationskette vom Namen Luthers schon bald zu seinen zahlreichen Liedtexten, die er für den täglichen Gebrauch geschrieben hat und den Gläubigen dazu verhalf, in ihrer eigenen Sprache singen und beten zu können, anstatt nur der lateinischen Sprache zuzuhören, ohne sie zu verstehen. Lieder wie 'Verleih uns Frieden gnädiglich', 'Vom Himmel hoch' oder 'Christ lag in Todesbanden' sind heute feste Bestandteile des evangelischen Gottesdienstes und haben viele Komponisten zu Vertonungen angeregt, so dass Namen wie Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn Bartholdy oder Johannes Brahms ebenso mit ihnen verknüpft werden wie der Autor ihrer Texte.

Wer die vorliegende Einspielung in Händen hält, könnte demnach zunächst an Kantaten von Bach denken mit ihrer charakteristischen barocken Musiksprache, oder an Mendelssohns ‚Reformations-Symphonie’, der dem Thema bereits einen dramatischeren, aufrührerischen Anstrich verleiht. Dass die Lieder der Reformation nicht grundlos die Jahrhunderte und Epochen überdauert haben, beweist aber letztlich die Tatsache, dass sich auch Komponisten des 20. Jahrhunderts mit ihnen beschäftigen und sie zur Grundlage ihrer Werke machen. Im Fall der vorliegenden Einspielung handelt es sich um ein Auftragswerk, das Colin Mawby (*1936) für die Biederitzer Kantorei schrieb. Die Aufgabe lautete, eine Komposition zu schreiben, die das Lied 'Verleih uns Frieden gnädiglich' mit den Worten des Lobgesangs der Maria, dem Magnificat, verbindet. Sowohl kompositorisch als auch interpretatorisch und klanglich ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Komponist und Ensemble eine bemerkenswerte Leistung aller beteiligten Musiker, die in besonderer Weise von Leidenschaft, einem ausgewogenen Verhältnis von Dramatik und Kantabilität, sowie geschickt eingesetzten Klangeffekten geprägt ist.

Zwischen Kirchentonarten und Filmmusik

Wenn man den beiden Kantaten auf dieser CD zuhört, weiß man zunächst nicht, was einen mehr beeindruckt: die Vielschichtigkeit der Komposition und ihre unvorhersehbaren Wendungen, der Kontrast zwischen der altertümlich anmutenden Harmonik der verwendeten Choräle und dem an Filmmusik erinnernden Pathos, oder die Leidenschaftlichkeit, mit der Solisten, Chor und Orchester die Werke inhaltlich und dramaturgisch präsentieren. Die große Besetzung, die neben dem Musiksommerfestspielorchester unter der Leitung von Michael Scholl und der Biederitzer Kantorei auch den Einsatz von einem Organisten (Christopher Lichtenstein) sowie eines Solosoprans (Grit Wagner) und einer Altstimme (Manja Raschka) erfordert, erlaubt eine differenzierte Darstellung des Textes, der schon in sich viele unterschiedliche Aspekte vereinigt: Die Kantate 'Da pacem, Domine' beginnt mit den lateinischen Worten des bekannten Luther-Liedes 'Verleih uns Frieden gnädiglich', das am Ende der Kantate auf Deutsch gesungen wird, und webt gleichzeitig die Worte des Magnificats sowie den Text eines englischen Gedichtes von Walt Whitman in die Komposition ein. Auf diese Weise verbindet er einerseits evangelische und katholische Liturgie, womit für eine überkonfessionelle Bedeutung gesorgt und gleichzeitig angedeutet wird, dass es Luther mit seinem reformatorischen Gedankengut nicht um die Spaltung, sondern vielmehr um die Einheit der Kirche ging. Darüber hinaus weist er mit dem Auszug aus der Lyrik des 19. Jahrhunderts auf die Zeitlosigkeit und Aktualität des Kantatentitels hin.

Die Bitte um Frieden wird von den Musikern auf vielfältigste Weise ausgedrückt, und auch die Worte des Magnificats werden auf eine Weise interpretiert, die nicht nur vor religiösem Hintergrund eine Bedeutung erhalten, sondern auch im Rahmen der heutigen politischen Ereignisse von höchster Relevanz sind. Besonders beeindruckend ist vor diesem Hintergrund der Anfang der Kantate, den die solistische Altstimme ohne jegliche Begleitung übernimmt. Die Solistin wählt hier eine Klangfarbe, die sich in ihrer Schlichtheit nicht aufdrängt und gesangstechnisch nahezu ohne Vibrato auskommt, dafür aber eine umso größere Eindringlichkeit erzeugt, die dem Hörer letztlich noch viel mehr unter die Haut geht. Der Text 'Da pacem, Domine' wird so auf bewundernswerte Weise interpretiert und könnte auch interpretatorisch kein besserer Auftakt für die Kantate sein, zumal sie den Hörer einerseits in die Thematik einstimmt und ihn gleichzeitig neugierig macht auf das, was ihn im Laufe der Musik erwartet - dass der Stil sich permanent ändert, erfährt er schon nach wenigen Takten, sobald die Instrumente des Orchesters einsetzen und ihn in eine völlig eigene Klangwelt entführen.

Erfrischend in der Klangvielfalt - bewegend im Ausdruck

Die beiden Reformationskantaten 'Da pacem, Domine' und 'Homage to Lucas Cranach' wurden im August 2016 in Magdeburg uraufgeführt und im darauffolgenden Jahr beim Label Querstand veröffentlicht. Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Klassikfans in den Genuss kommen, sich diese Musik anzuhören, auch wenn der Name des Komponisten vielen zunächst nicht geläufig sein dürfte und die Reformationsthematik nicht bei allen von Anfang an Interesse hervorruft. Durch ihre klangliche Vielfalt, die Bekanntheit der Texte, die ausdrucksstarke und bewegende Präsentation, und nicht zuletzt die ungewöhnliche Musiksprache, die bei allen instrumentatorisch und klanglich neuen Elementen stets von eingängigen Melodien und vertrauter Tonalität geprägt ist, erweist sich die Aufnahme allerdings bestimmt als lohnende Investition, die dem Hörer möglicherweise nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich gesehen neue Perspektiven eröffnet.

Interpretation: 5 | Klangqualität: 4 | Repertoirewert: 3 | Booklet: 4