Biederitzer Kantorei
01

Georg Philipp Telemann

Die Gekreuzigte Liebe

2003 | 2 CDs | Ersteinspielung


Details

Besetzung

Friederike Holzhausen - Sopran (Maria, Gläubige Seele)
Susanne Gorzny - Sopran (Maria Magdalena)
Manja Raschka - Mezzosopran (Andächtige Seele)
Ralph Eschrig - Tenor (Johannes, Pilatus, Hauptmann)
Matthias Vieweg - Bass (Petrus, Arien)
Jörg Schneider - Bass (Jesus)
Die Biederitzer Kantorei
Weimarer Barockensemble (auf historischen Instrumenten)
Leitung: Michael Scholl

Aufnahme

6.4.2003, Klosterkirche Groß Ammensleben | Aufnahmeleitung, Toningenieur, Digitalschnitt: Christoph Herr

Produktion

SONOMASTER - Rudolf Bayer | Amati (ami 2202/1)

Notenausgabe

Georg Philipp Telemann. Die gekreuzigte Liebe (TWV 5:4), herausgegeben von Carsten Lange, Magdeburg: Bibliothek des Zentrums für Telemann-Pflege und -Forschung, 2001.

Die der Neuedition und Ersteinspielung zugrunde liegende Partitur wird heute in der Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin (Preußischer Kulturbesitz) aufbewahrt.

Leihmaterial

Zentrum für Telemann-Pflege und -Forschung Magdeburg - www.telemann.org

Die Produktion erfolgte mit freundlicher Unterstützung von:
Lotto-Toto GmbH Sachsen-Anhalt und Öffentliche Versicherungen Sachsen-Anhalt.


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Presse

Magdeburger Volksstimme vom 20.03.2001 - Erstaufführung der Gekreuzigten Liebe

Von Liane Bornholdt

Magdeburg. Die Biederitzer Kantorei und das Weimarer Barockensemble unter der musikalischen Leitung von Michael Scholl haben "Die gekreuzigte Liebe" nach eine quellenkritischen Neufassung der Partitur durch Carsten Lange vom Telemann-Forschungszentrum jetzt erstmals nach 270 Jahren in Deutschland wieder aufgeführt.

Die Musiker des Barockorchesters hatten große Aufgaben zu bewältigen, da Telemann für die emotionsreichen Arien jeweils besondere charakterisierende Besetzungen vorschreibt, etwa zwei Oboi damore zum Text "Aus Liebe lag ich in der Krippen". Auch die Streichergruppe hat mit viel charakterisierendem Ausdruck zu spielen.

Anders als in den Passionen nach dem Bibeltext treten im Passionsoratorium Allegorien auf, die das Passionsgeschehen moralisch und emotional kommentieren und zusammenfassen. Hier hatten die "Andächtige Seele" und die "Gläubige Seele", Mechthild Stephan (Mezzosopran) und Friederike Holzhausen (Sopran), diese Aufgaben. Beide erfüllten sie mit viel Gefühl und, insbesondere Mechthild Stephan, mit ausdrucksstarker wandlungsfähiger Stimme.

Ein zweiter Sopran, Susanne Gorzny als Maria Magdalena, antwortet auf die Verspottung Jesu durch den Chor der Juden mit der Arie "Seht welch ein Mensch" mit klarer, ja optimistischer Ausstrahlung. Unter den Männerstimmen ist besonders Jörg Schneider (Bass) in der Partie des Jesus hervorzuheben. Die Biederitzer Kantorei sang die ganz unterschiedlichen Chöre alle wunderbar überzeugend, mit ironisch-wildem Ton etwa den Chor der Kriegsknechte oder den Spottchor der Juden, am schönsten aber mit großer Klage und Innbrunst den Chor der Weiber von Jerusalem "Ach Golgatha!"

Sehr schön, wie Michael Scholl mit Sängern und Musikern das emotionsreiche Werk in packender Dramatik und großen Gefühlen zum Klingen brachte. Der überaus herzliche Beifall galt der Neuentdeckung des Werkes genauso wie der sehr gelungenen Interpretation.

Frankfurter Allgemeine Zeitung (Feuilleton) vom 26.03.2001 - Wir setzen uns mit Tränen nieder

Von Ruth Hermann

Fast durchgehend traurig und doch eine erfreuliche Bereicherung des Repertoires: Telemanns Passionsoratorium

Georg Philipp Telemann pflegte seine eigenen Umgangsformen mit den oft knausrigen Verlagen, die keinen Urheberschutz kannten. Seine berühmte Barockes-Passion durfte in Frankfurt nur hören, wer eines seiner selbstgedruckten Textbücher kaufte. Textbücher gab es auch gut zweihundert Jahre später in Magdeburg zu kaufen. Diesmal diente der Erwerb allerdings weniger Telemanns Geldbörse als seinem Nachruhm, der auch heute noch unter Bach und Händel leidet. Denn in Magdeburg gab es eine Wiederentdeckung zu hören, ein weiteres Puzzleteil im unfertigen Komponisten-Porträt: Telemanns Passionsoratorium .,Die gekreuzigte Liebe oder Tränen über das Leiden und Sterben unseres Heilandes" nach einem Text von Johann Ulrich König, uraufgeführt 1731 im Hamburger Konzertsaal Drillhaus.

Seitdem ist das Werk in Vergessenheit geraten. 1983 vermerkte Werner Menke in seinem thematischen Verzeichnis. daß die Noten in der Berliner Staatsbibliothek zu finden sind. Doch erst vor wenigen Jahren wandte sich ein holländisches Ensemble an das Zentrum für Telemann-Pflege und -Forschung Magdeburg und fragte nach den Noten. Mit Hilfe der quellenkritischen Neufassung von Carsten Lange erlebte "Die gekreuzigte Liebe" 1996 in den Niederlanden ihre Wiederaufführung. Erst in jüngster Zeit waren die finanziellen Mittel vorhanden, die "fast durchgehend traurige" Musik, wie es anläßlich der Uraufführung im Relations-Courier hieß, auch in Magdeburg unter Leitung von Michael Scholl mit der Biederitzer Kantorei und dem Weimarer Barockensemble aufzuführen. Eine deutsche Erstaufführung, die lange auf sich warten ließ.

Wer Vergleichbares zu Bachs Matthäus-Passion erwartet hatte, sah sich getäuscht. Telemann geht eigene Wege. Schon der Text macht das deutlich. Nicht ein Evangelist beschreibt die historischen Vorgänge, sondern das Individuum mit seinem Empfinden kommt in der ersten Arie zu Wort. "Was dich martert. was dich drücket, ach mein Heiland, das bin ich" (Mechthild Stephan, anfänglich als Andächtive Seele etwas unsicher), heißt es da, und mit diesem sehr persönlichen Beginn wird der Zuhörer in das Geschehen einbezogen.

Tatsächlich ist es unvorstellbar; daß dieses ausdrucksstarke Werk jahrhundertelang stumm blieb. Da gibt es die Arie der gläubigen Seele, deren Koloraturen Telemann mit dem warmen Ton von zwei Traversflöten verbindet. Die Choräle werden zum spöttischen Hetzgesang oder zum schamerfüllten Bekenntnis der Weiber von Jerusalem. Der Chor der Biederitzer Kantorei zeigt mit ausgewogenem Klang und zuverlässiger Intonation seine Erfahrung mit Telemann-Werken. Gerade in der Instrumentierung gelingen Telemann Momente berückender Schönheit. Wenn die Gläubige Seele (Friederike Holzhausen) angesichts des Gekreuzigten weint, setzt Telemann die stets abwärts weisende Melodiestimme parallel zu einem Oboensolo, das mal vorweg weist, mal folgt, stets aber die Trauer nachvollzieht. Holzhausens Stimme korrespondiert hier ausgesprochen einfühlsam mit dem Oboenton. Technisch souverän und mit sicherer Intonation, ist die Sopranistin die beste Besetzung an diesem Abend.

Manches in der kompositorischen Gestaltung wirkt ein wenig gewollt, da ist Telemanns Neigung zur Oper nicht zu verkennen. Das stets wiederkehrende Terzenmotiv in der Jesus-Arie "Aus Liebe lag ich in der Krippen" scheint als Liebes-Symbol arg plakativ, und das vehemente Streicher-Unisono in der Johannes-Arie "Der Abgrund muß erzittern" (Matthias Schubotz mit beweglicher, aber etwas dünner Tenorstimme) erinnert an die donnernde Gewitter-Szene der Barock-Oper, ein Tribut an das Publikum.

Die Sterbeszene von Jesus rückt die Atemzüge des Gekreuzigten in den Vordergrund. Telemann hat dem Bassisten zwei Waldhörner zur Seite gestellt. Diese Hörner-Klänge schieben sich letztlich zwischen jede Silbe des erschöpften Gottessohnes, die Pausen werden länger, schließlich verstummt die Stimme. Es ist ein sanfter Tod, den Telemann komponiert. Kein Vorwurf findet hier seinen Ausdruck, nur das Leiden.

Telemanns "Gekreuzigte Liebe", ebensowenig ein Überwerk wie eine Durchschnittskomposition, wirft einen sehr persönlichen Blick auf die Leidensgeschichte Jesu als ein Symbol der Liebe. Das ist vor allem menschlich.